DEFINITION

Wikipedia bezeichnet Trauer als "die durch ein betrübendes Ereignis verursachte Gemütsstimmung""

und konkretisiert die Trauer sowohl als  "einen emotionalen Zustand" und auch als  "einen Prozess bei

der Bewältigung von Trennung".

 

Der Tod eines Menschen bedeutet immer Trennung. Im Laufe seines Lebens erleidet der Mensch

mehr als eine  einschneidende Trennung.Die erste Trennung erfolgt bereits bei der Geburt,

bei der das kleine Menschlein von seiner Mutter getrennt wird. Weitere Trennungen sind die von

anderen Menschen im Laufe seines Lebens. Und die endgültige und finale Trennung erleidet der

Mensch mit seinem eigenen Tod.

 

Trauer sowohl als Zustand und auch als Prozess, das ist sicher gut formuliert. Hinter diesen Worten verbirgt sich aber die  wohl emotionalste  Gefühlsregung, welche der Mensch kennt - abgesehen

von der Liebe.

Die Bezeichnung "Prozess"  zeigt , daß die Trauer im Zeitablauf verschiedene Phasen durchläuft

(wie prinzipiell alle menschlichen Gefühle). Welche Phasen dies sind, beschreibt das nächste Kapitel.

DIE  PHASEN DER TRAUER

Die moderne Psychologie unterschied ursprünglich unterschiedliche Stufen beim Erleben der Trauer.

Der Begriff "Stufen" impliziert, daß es sich dabei um aufeinander folgende Erlebnisse handelt und

man so beispielsweise nach Durchleben der 1. Stufe diese hinter sich abgeschlossen habe  und zur

quasi "befreit" zur 2. Stufe weiterschreiten könne etc.

Das ist natürlich in der Realität nicht der Fall und man ersetzt heute den Begriff "Stufe" besser durch

den Begriff "Phase".  Die Phasen laufen also nicht nicht klar getrennt von einander ab, sie können ineinander fließen, manchmal fällt man auch wieder zurück in ein der vorhergehenden Phasen etc.

 

Die neuere Psychologie unterscheidet 4 Phasen der Trauer (oder eines Traumas generell):

1.  Schock und  Ablehnung

Die endgültige Trennung wird nicht wirklich realisiert -  Gefühle der Betäubung, Ungläubigkeit.

"Das muß ein böser Traum sein,  das kann nicht, das darf nicht wahr sein".

Diese Gefühle erfolgen auch dann, wenn der Tod absehbar war,  z.B. nach langer Krankheit.

Die Realität wird verleugnet und verweigert, manche verstummen einfach, andere reagieren

verbittert und aggressiv.

 

2.  Klage und  Verhandlung

Dies ist die Phase der Klage, der heftigen psychischen Schmerzen, der Lethargie.

Man sucht nach Möglichkeiten den Schmerz zu lindern oder doch noch einen Ausweg zu finden:

"Lieber Gott, lass das nicht wahr sein! Ich will alles tun, wenn das rückgängig gemacht werden kann"...

 

3.  Realisierung

Die ersten beiden Phasen sind nicht hilfreich bei der Verarbeitung des Traumas.

Erst während der 3. Phase setzt langsam eine Annäherung an die bittere Realität ein, man beginnt

notgedrungen sich zu adaptieren. Oft setzt dann auch eine Überreaktion ein in Form von Aktionismus

aller Art.

 

4.   Akzeptanz  und Loslassen 

In der letzten Phase lernt der Trauernde, daß  "das Leben nicht weitergeht" - wie es immer heißt - 

sondern daß vielmehr ein neues Leben  begonnen hat und man  sich den veränderten Umstände  anpassen muß. Es ist diese Phase des "Loslassens", wie sie vom Trauernden immer gefordert wird -

sowohl  von Seiten der Mitmenschen als auch (bis vor kurzem) von allen Psychologen, Psycho-

therapeuten etc.

 

In der Literatur werden diese Phasen oft auch anders bezeichnet, manchmal wird auch eine Phase

mehr oder weniger benannt. Der  Psychologe und Trauma-Experte Georg Pieper benennt z.B.

folgenden 3 Phasen, wobei er sich auf Traumata allgemein bezieht und nicht auf die Trauer im besonderen:

-  Ablehnung

-  Verzweiflung und Depression

-  Akzeptieren oder Zerbrechen.

G. Pieper : "Überleben oder Scheitern ", Knaus-Verlag München.

 

Jedoch im Endeffekt lief  es bis vor kurzem immer auf ein Mehrphasenmodell hinaus...

... bis jemand kam, der das bisherige Modell mit dem Postulat des "Loslassens" nicht nur in Frage stellte,

sondern - sehr positiv - erweiterte:  

Loslassen oder nicht?

Neue Erkenntnisse in der Trauertheorie

Nicht jeder kann loslassen und wann soll denn der richtige Zeitpunkt gekommen sein, um loszulassen?

Viele wollen bzw. können überhaupt nicht loslassen.  Ist das dann falsch, absonderlich oder gar krank? 

Solche Fragen erhöhen den seelischen Druck noch mehr.

Die bisherige Trauerpsychologie verlangte also das Auflösen der Beziehung zum Verstorbenen als Mittelpunkt und Endpunkt einer "erfolgreichen Trauerarbeit". Die o.g. Phasen sollen ein Stufenmodell

sein, bei dem nach der "erfolgreich erklommenen" letzten Stufe die Trauer abgeschlossen sein soll. 

Dabei macht doch  jeder Trauernde die Erfahrung, daß der Trauerprozess kein lineares Stufenmodell ist, sondern ein nicht vorhersehbares Wechselbad der Gefühle zwischen den einzelnen Phasen.

 

Es ist  dem Diplompsychologen  Roland Kachler zu verdanken, dies kritisch hinterfragt und geändert zu haben. Er hat die sehr traurige Geschichte erleben müssen, seinen Sohn durch einen Unfall zu verlieren, verbunden mit

"...unendlichem Schmerz und abgrundtiefer Trauer. Mit der damals gültigen Trauerpsychologie

konnte und wollte ich nicht leben. Ich wollte in meinem Trauerprozess mehr als Abschiednehmen.

Ich wollte meine Liebe zu meinem Sohn weiterleben können!"

So stellte Roland Kachler das Dogma von der Trauer als einem reinem Abschiedsprozess infrage und

er konnte das extrem unbefriedigende Postulat des Loslassens überwinden.

"Nicht das Loslassen steht im Zentrum, sondern die Liebe zum Verstorbenen, die weiter reicht.

...habe ich mich von den gängigen Vorstellungen der Trauerpsychologie gelöst und mich meinen eigenen

Erfahrungen überlassen.

... So wurde mir mehr und mehr deutlich:

Trauern ist nicht nur die Emotion des Abschieds, sondern Trauer ist das Gefühl, eine neue Beziehung

zum Verstorbenen zu finden".

Roland Kachler, "Meine Liebe findet Dich - Wegweiser für Trauernde", Kreuz-Verlag, Freiburg i. Br. 2015

 

Roland Kachler's  wesentlicher Verdienst lässt sich prägnant zusammenfassen in seiner Aussage:              

                          " Loslassen ist nicht nötig - der Abschied von einem Dogma der Trauerpsychologie" 

Alle Trauernden, mit denen ich sprach, haben mir  bestätigt,  daß sie nach relativ kurzer Zeit von ihrer Umgebung auf das Thema Loslassen angesprochen wurden - direkt oder indirekt. Und daß sie sich dadurch unter Druck gefühlt haben. Daher finden Trauernde diese neue Erkenntnis ausgesprochen befreiend!

 

R. Kachler hat zu diesem Thema 3 Bücher geschrieben, deren Titel bereits das Wesentliche seines

neuen Ansatzes gut beschreiben, daher seien sie hier genannt:

        Meine Trauer wird Dich finden

        Damit aus meiner Trauer Liebe wird

        Meine Trauer geht - und Du bleibst.

 

Wenn Loslassen nicht nötig ist, bedeutet dies dann, daß Trauer eventuell nie endet?

Dies führt zu der Frage, ob Trauer überhaupt endet und wenn ja, wann und wie?

Dieser Frage gehen wir nach unter  "KLARHEITEN/ Umgang mit der eigenen Trauer/Das Ende der Trauer".